Die historische Kontextualisierung einer Darstellung ist der erste Schritt der Annäherung an eine bestimmte Zeit, eine bestimmte Region und eine bestimmte Person oder Figur. Um möglichst nah an die Lebensumstände meiner Bürgerin heran zu kommen, müssen die räumlichen, politischen und gesellschaftlichen Strukturen und Ereignisse des späten 12. und frühen 13. Jahrhunderts im Heiligen Römischen Reich sowie in Rothenburg ob der Tauber und Regensburg berücksichtigt werden.
Kurzinformation zum Begriff Mittelalter
Der Begriff „Mittelalter“ bezeichnet eine europäische Epoche etwa vom 6. bis 15. Jahrhundert, deren Zäsuren einerseits der Zerfall des Römischen Reiches und die darauf folgende Entstehung größerer Staatsverbände aus ursprünglich germanischen, keltischen, romanischen und slawischen Stämmen vor dem Hintergrund der Christianisierung, andererseits die Entdeckung Amerikas und die Reformation sind.
Die feudale Gesellschaft des Mittelalters ist vom christlichen Weltbild geprägt und nach Ständen geordnet. Sie stellt unter anderem im Heiligen Römischen Reich die Grundlage für das Lehenswesen dar, das in der Verleihung von Land und Vergabe von Ämtern durch den Landesherrn (König, Fürsten, Adelige) und die Bewirtschaftung durch abhängige Vasallen (z.B. Bauern) besteht.
Auf der obersten Ebene des Reiches regiert das Reichsoberhaupt (der König) sein Herrschaftsgebiet. Auf der mittleren Ebene der Landesherrschaft verwalten Landes-/Reichsfürsten, auf der untersten Ebene der Grundherrschaft weltliche/geistliche Grundherren das Land. Landesausbau und Herrschaftsausübung sind durch ein Zusammenwirken von kirchlichen und politischen Strukturen gekennzeichnet. Ab dem Hochmittelalter entstehen die Städte als Zentren von Handel und Gewerbe sowie Gegengewicht zur landesherrlichen Macht.
Um die Lebensumstände meiner Bürgerin in den Gesamtkontext der Zeit um 1200 einordnen zu können, soll zunächst ein Blick auf die Reichsgeschichte geworfen werden.
Das Heilige Römische Reich
Im Prozess des Abgrenzens der Machtbereiche von Papst und König und der Auseinandersetzung um den Vorrang geistlicher oder weltlicher Macht bei der Vergabe von geistlichen Ämtern war der Streit um die Investitur mit der Trennung zwischen Spiritualien (Wahl, Amt) und Temporalien (Regalien, Lehen) um die Wende zum 12. Jahrhundert beigelegt worden.
In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts schreitet der Landesausbau durch Waldrodung, den Ausbau der Verkehrs- und Handelswege zu Wasser und zu Land, Siedlungsverdichtung und Herrschaftsintensivierung voran. Die ritterlich-höfische Kultur strebt ihrer Blüte zu und drückt sich in der Errichtung von Burgen als Wehr- und Wohnanlagen des Adels sowie Organisationspunkte der Grund- oder Landesherrschaft aus. Die Sorge um das Überleben und die tägliche Nahrung prägt, häufig als Kampf um Ressourcen oder gemeinsamer Lernprozess, den recht direkten, weitherzigen und pluralistischen Alltag der Menschen, die sich als Teil der sie umgebenen Umwelt und damit einer gottgewollten Ordnung verstehen (in der Gott über die Natur Zeichen gibt und argumentiert).
Im Heiligen Römischen Reich entwickelt sich nach der Lösung des Konfliktes zwischen Staufern und Welfen während der Regierungszeit Kaiser Friedrichs I. Barbarossa im konsensualen Zusammenspiel mit den Großen des Reiches die zentrale königliche und fürstliche Institution des Hofes als Ausdruck der Vergegenwärtigung der Herrschaft. Unter Friedrichs I. Sohn und Nachfolger Heinrich VI. beginnen der Rückzug der Reichsfürsten aus dem direkten Umfeld des Herrschers und ihre Ersetzung durch im Dienst des Königs/Kaisers stehende Reichsministeriale. Auch bildet sich unter dem höherrangig stehenden Hochadel aus Edelfreien und den aufsteigenden, ursprünglich unfreien Ministerialen (Dienstadel) unter dem Einschluss der Ritter der Niederadel heraus.
Um 1200 ist die Herrschaftssituation im Heiligen Römischen Reich nicht mehr eindeutig, denn nach dem Tod Kaiser Friedrich I. Barbarossas auf dem Dritten Kreuzzug 1190, dem Tod Kaiser Heinrichs VI. und der aus dem Fehlen einer schriftlichen Verfassung resultierenden Doppelwahl 1198 streiten sich der Staufer Philipp von Schwaben und der Welfe Otto IV. von Braunschweig um die Königsherrschaft.
Nach der Ermordung Philipps von Schwaben (durch den Pfalzgrafen von Wittelsbach) und einer kürzeren Herrschaft Ottos IV. wird 1212 der nun volljährige Staufer Friedrich II. durch die mittel- und süddeutschen Fürsten mit Unterstützung durch Papst Innozenz III. zum König und 1220 zum Kaiser gewählt. In seiner Regierungszeit werden einerseits durch die Gesetze Confoederatio und Statutum die Herrschaft intensiviert sowie die Befugnisse der weltlichen und geistlichen Fürstentümer in Richtung einer Entstehung verfassungsmäßiger und politischer Einheiten (Territorialstaaten) erweitert, andererseits führt der immer größere Anspruch des Papsttums auf Universalherrschaft zu einer Auseinandersetzung mit Friedrich II. (in der Folge entwickelt sich ein Gegenpol zum päpstlichen Machtanspruch und mit der Goldenen Bulle werden 1356 unter Kaiser Karl IV. aus dem Haus Luxemburg die Entscheidungsmacht der Reichsfürsten bei der Königswahl und die Verfassung des HRR erstmals schriftlich festgehalten). Der Personenverbandsstaat wird allmählich zum Flächenstaat, der Reichsadel zum dynastischen Adel. Die erste Hälfte des 13.Jhs. ist zudem geprägt durch die Verbreitung der eine Erweckungsbewegung mit radikaler Armut und Buße predigenden Bettelorden, eine wachsende Bedeutung der Städte als Zentren von Handel und Handwerk, die zunehmende Verschriftlichung des geltenden Rechtes und das Aufkommen der Universitäten.
Die Absetzung Friedrichs II. 1245 (im selben Jahr erhebt er Regensburg zur freien Reichsstadt, es erhält damit eine autonome Stellung und ist nur dem römisch-deutschen Herrscher und keinem Landesfürsten unterstellt) sowie das Aussterben der Dynastien der Staufer und der österreichischen Babenberger markiert den Beginn des „Interregnums“, einer Zeit ohne Macht ausübenden Herrscher, die erst in den 1270er Jahren durch die Einigung auf Rudolf I. von Habsburg als Königskandidaten überwunden werden wird. (Er wird Rothenburg ob der Tauber 1274 das Privileg einer Reichsstadt verleihen.)
Wie sieht es nun um 1200 in Rothenburg ob der Tauber und in Regensburg aus? Wer hat die Macht in der entstehenden Stadt Rothenburg? Wie entwickelt sich das politische, geistliche und wirtschaftliche Zentrum Regensburg?
Die idyllische Stadt – heute die deutsche „Mittelalterstadt“ schlechthin – mit ihren verwinkelten kopfsteingepflasterten Gassen, von Stein- und Fachwerkhäusern umstandenen Plätzen, Türmen und Toren sowie der berühmten Stadtmauer mit Wehrgang und Mauertürmen ist um 1200 noch eine recht kleine Siedlung, die im Herrschaftsgebiet des Adels- und Königsgeschlechtes der Hohenstaufen als Hausgut und administratives Zentrum zwischen Würzburg und Nördlingen sowie Heilbronn und Nürnberg regionale Bedeutung besitzt.
Etwa in der Mitte des 12. Jahrhunderts war durch den römisch-deutschen König Konrad III. die Stauferburg auf einem in das Taubertal vorspringenden Bergrücken errichtet worden. Einige Jahre später hatte Kaiser Friedrich I. Barbarossa Konrads Sohn Friedrich den Titel und Besitz des Herzogs von Rothenburg verliehen. Nach dessen Tod 1167 und einer zwischenzeitlichen Herrschaft von Friedrich I. Barbarossas Söhnen Konrad (von 1188 bis zu seinem Tod 1196 verheiratet mit Prinzessin Berengaria von Kastilien) und Philipp verwalten aus der (unfreien) Ministerialität stammende Vögte, gegen Ende des 12. Jahrhunderts Arnold II. und Truchsess Konrad von Rothenburg und ab ca. 1200 bis 1237 (Reichs)Küchenmeister Heinrich Cresse von Rothenburg, die Besitzungen des Kaisers und agieren als Vertreter der staufischen Stadtherren. Nach der Parteinahme der Familie Heinrichs von Rothenburg für den unterlegenen König Heinrich (VII.) setzt Kaiser Friedrich II. in den 1230er Jahren den Edelfreien Gottfried von Hohenlohe als Verwalter in Rothenburg ein. Ihm folgen die Reichsküchenmeister von Nordenberg nach.
Bis in die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts und nach dem Erhalt der Stadtrechte im Jahr 1172 entstand aus einer Ansiedlung von Bediensteten und Handwerkern der Hohenstaufen im Bereich der Reichsburg (als Instrument des Landesausbaus und Mittel der Herrschaftssicherung) die Stadt Rothenburg mit einem Marktplatz und der zu diesem Zeitpunkt romanischen Jakobskirche als Zentren. Die bisher einfache Stadtmauer aus quaderförmigen Muschelkalksteinen wird im frühen 13. Jahrhundert durch Mauern und Türme erweitert. Es formiert sich der städtische Rat (als Vertretung der Bürgerschaft) durch die Schöffen des Stadtgerichtes unter dem Vorsitz des Schultheißen, um 1200 der von den Staufern zur Stadtverwaltung eingesetzte Hermann von Nordenberg. Nach und nach übernimmt nun der Rat ursprünglich dem Stadtherrn zugestandene Rechte.
Im Verlauf des 13. Jahrhunderts lassen sich geistliche Ritterorden wie die Johanniter und der Deutsche Orden in Rothenburg nieder, Hermann von Nordenberg stiftet das Franziskanerkloster und der als Vogt fungierende Reichsküchenmeister Lupold von Nordenberg 1257 das Dominikanerinnenkloster.
Auf dem Areal der eisenzeitlich-keltischen Siedlung Radasbona und des römischen Legionslagers Castra Regina am nördlichsten Punkt der Donau und an den Mündungen von Naab und Regen entstanden, steigt Regensburg im Hochmittelalter zur Handels- und Reichsstadt auf. Romanische und gotische Bürgerhäuser, Geschlechtertürme und Kirchen aus dem 11. bis 14. Jahrhundert sowie die berühmte Steinerne Brücke von 1146 prägen das Stadtbild bis heute. Als bedeutendes geistliches Fürstentum und Tagungsort für Versammlungen der Reichsstände fungiert Regensburg als ein politisches Zentrum des Heiligen Römischen Reiches.
Seit dem 9. Jahrhundert waren die Regensburger Kaiserpfalzen wichtige Residenzen zunächst des ostfränkischen und später des Heiligen Römischen Reiches, obgleich die Herrscher häufig mit den bayerischen Herzögen um die politische Vormachtstellung ringen mussten. Die Residenzfunktion machte eine Erweiterung des Stadtgebietes über die Mauern des einstigen Römerlagers hinaus erforderlich. Für das Jahr 934 ist erstmals ein Markt in Regensburg bezeugt und für 970 das Amt des Burggrafen, des höchsten kaiserlichen Beamten in der Stadt. Das entstehende politische und geistliche Zentrum zog Handelsfamilien und Kaufleute an, die gemeinsam mit dem herrschenden Adel und Klerus den Ausbau der Stadt vorantrieben. Um den Dom St. Peter herum entwickelte sich in Nachbarschaft der Kaiserpfalz am Alten Kornmarkt ein Dombezirk mit dem Hochstift als weltlichem Herrschaftsbereich des Bischofs. Bis in das Hochmittelalter etablierte sich Regensburg als bevorzugter Tagungsort von Versammlungen des römisch-deutschen Herrschers und der Reichsstände.
Die mit der (auch durch einen in der Landwirtschaft produzierten Überschuss dank der neuen Dreifelderwirtschaft ermöglichten) Urbanisierung einhergehende florierende Wirtschaft durch den Fernhandel und die Rolle als Warenumschlagplatz europäischen Ranges drückt sich im 12. und 13. Jahrhundert in einer wachsenden städtisch-bürgerlichen Selbstverwaltung – unter anderem ausgehend von dem den Ursprung der kommunalen Selbstverwaltung bildenden und die Oberaufsicht über Handel und Gewerbe ausübenden Amt des Hansgrafen – aus, die sich in einer regen Bautätigkeit im romanischen und gotischen Stil niederschlägt. Auch das Hochstift Regensburg erlebt nach der Lösung vom Herzogtum Bayern eine Blütezeit mit zahlreichen Klostergründungen. Um 1200 ist Regensburg die bevölkerungsreichste Stadt Süddeutschlands mit ca. 10 000 Einwohnern, deren politische Machtverhältnisse durch ein Konkurrieren des römisch-deutschen Reichsoberhauptes, des bayerischen Herzoges und Burggrafen, des Regensburger Bischofs und der aufstrebenden Bürgerschaft bzw. des aus bischöflichem und herzoglichem Dienstadel hervorgegangenen Patriziats um die städtische Herrschaft geprägt werden.
1182 gewährt Kaiser Friedrich I. Barbarossa der erstmals als rechtsfähige Körperschaft auftretenden Bürgerschaft rechtliche und wirtschaftliche Privilegien. König Philipp von Schwaben stärkt die Bürgerschaft erneut. 1207 wird ein Stadtrecht, 1227 ein Stadtrat genannt. Kaiser Friedrich II. bestätigt Regensburg im Jahr 1245 das Recht zur freien Wahl der Selbstverwaltungsorgane (in Form eines Privilegs auf einen Bürgermeister und einen Stadtrat) und erhebt die Stadt zu einer freien Reichsstadt innerhalb des Herzogtums Bayern. Dieses war 1180 nach der Absetzung des welfischen Herzoges Heinrichs des Löwen an das Adelsgeschlecht der Wittelsbacher übergegangen, ebenso wie das Burggrafenamt (dem seit ca. 1157 der Schultheiß als Stadtrichter untersteht) durch die Vermittlung Bischof Konrads IV.
Um 1200 treibt Herzog Ludwig I. der Kelheimer den Ausbau von Regensburg als bayerische Landeshauptstadt energisch voran; es werden unter anderem die Pfalzkapelle St. Ulrich östlich des Domes und der Römerturm als Wehrturm der Pfalz am Alten Kornmarkt errichtet. Handwerkerzünfte treten ab 1244 geordnet auf und bestimmen die Stadtentwicklung in Konkurrenz zum Patriziat mit. Ab dem zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts siedeln sich unter anderem seelsorgende und predigende Bettelorden in Regensburg an und tragen zu einer Vertiefung des Christentums in der Bevölkerung bei.
Nach dem Verlust vieler Herrschaftsrechte infolge einer Auseinandersetzung mit dem Regensburger Bischof ziehen die wittelsbachischen Herzöge um 1255 nach Landshut um. Das daraus resultierende Erstarken der Bürgerschaft bzw. des Patriziats wird zu Konflikten der Stadt mit dem Bischof von Regensburg und dem umliegenden Herzogtum Bayern führen, aber auch eine weitere Phase der Stadterweiterung einleiten. Die bisherigen hölzernen oder lehmenen Gebäude werden nun verstärkt durch zum Teil turmartige Steinbauten vor allem des aus Adeligen, Rittern und Kaufleuten entstandenen, die Ratsmitglieder stellenden und nach Vorrechten strebenden Patriziats ersetzt (diese Häuser von Händlerfamilien, Stadtburgen und Wohntürme des Adels werden zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert an den wichtigsten Straßen entlang der Handelswege und zum Donau-Hafen hin errichtet); das Rathaus, der gotische Dom, eine zweite Stadtmauer und eine flussseitige Befestigung werden gebaut. Um 1320 wird Regensburg seine größte Ausdehnung im Mittelalter erreichen.
verwendete Literatur und Quellen
Mittelalter 1 (ca. 400 bis ca. 1200). Anton Scharer, SS 2009.
Mittelalter 2 (ca. 1200 bis ca. 1500). Werner Maleczek, WS 2008/2009.
Mittelalter 2 (ca. 1200 bis ca. 1500). Meta Niederkorn, WS 2008/2009.
Österreichische Geschichte bis 1526. Christian Lackner, SS 2010.
Österreichische Geschichte bis 1526. Maria-Christina Lutter, WS 2009/2010.
Überblick Mittelalter. Meta Niederkorn, WS 2007/2008.